Gestatten – Ihr Name war Mieke

Oder eigentlich wohl ein anderer. Aber sie wurde immer „Oma Mieke“ gerufen. Auch wenn sie, was die Generationenfrage angeht meine Stief-Ur-Oma war.

In dieser komplizierten Konstellation liegt auch eines der Probleme, die später vielleicht noch angesprochen werden.

Auf jeden Fall war Mieke eine der klügsten und warmherzigsten Frauen, die ich bisher kennenlernen durfte.

Wie eine Gute Fee verzauberte sie das Erdgeschoss. Eine Weile lang konnte ich mich scheinbar unbemerkt in ihr Zimmer schleichen und wir plauderten, wenn sie wach war. Die Erwachsenen haben aber wahrscheinlich doch gewusst, wo ich war. Kind beschäftigt, Oma beschäftigt, also Ruhe im Karton.

Mieke trug noch sehr einen langen geflochtenen wunderschön grauen Pferdeschwanz. Es war das Größte, Ihr dabei zuzusehen, wie sie ihr Haar kämmte, sorgfältig teilte, den Zopf flocht und sich ein einzelnes Haar herausriss, um es unten am Ende herumzuwickeln. Ihre sonst zittrigen, manchmal geschwollene, Hände hatten dabei ein eigenes Leben, ihre eigene Eleganz und ein unerwartetes Aufblitzen ihrer früheren Jugendlichkeit, auch wenn alles andere schon schwerfiel.

Wenn der Zopf fertig war, bat sie mich, ihr ihren Spiegel zu reichen. Nicht geben. Oder holen. Nein, reichen

Dann fragte sie mich, ob ich uns eine Heiße Schokolade stibitzen könnte. Brauchte ich aber nicht, die 10Uhr-Schokolade stand meistens vorbereitet auf dem Tablett in der Küche. Einige Kekse dazu.

Im Winter durfte ich mich dann, weil der Kohleofen nur die obere Etage heitzte, mit in dieses Bett-Monstrum kuscheln. Drei Decken auf jeder Seite und keine weniger. Erst das gestärkte, kratzige Laken. Dann die weiche Wolldecke, dann ein unbeschreiblich dickes Daunending – darunter verschwand der Schlafende völlig – gerade eine so zarte ältere Dame. Mit der Warnung nur ja nicht ins Bett zu krümeln begann sie ihre Erzählungen. Von ihrer Jugend. Von den Kriegen. Von der Flucht. Von den wahrhaftig verlorenen Kindern. Vom Wiederaufbau mit blutigen Händen. Vom Glück in den kleinen Dingen und Weißheiten, die heute wieder verstärkt in meinem Alltag einen Platz finden – denn: „Oma Mieke hat gesagt…!“

Nicht Charlie… ;)

 Und oft genug gab´s Schläge für diesen Satz. Bis ich mir abgewöhnte, überhaupt noch darüber zu reden. Sondern das Gesagte wie einen heimlichen Schatz für mich behielt und nach und nach aufschrieb, sobald ich krakelige Buchstaben malen konnte. Auch dabei half Mieke mit. Ließ mich Reihen mit großen Vogelvaus wiederholen, bis sie mit dem Ergebnis zufrieden war. Ließ mich heimlich in ihren Romanen, die ebenfalls unter den dicken Daunen versteckt waren, das Lesen üben.

 Denn wir waren uns heimlich einig: Schrift ist eine Geheimsache der Erwachsenen, damit Kinder (und Alte) vieles nicht mitbekommen.

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