Küsse von Mieke schmeckten nach Veilchen. Denn sie liebte Veilchen-Pastillen. Nicht die mit dem dicken lila Zuckerguss, sondern die kleinen Hütchen aus Lakritze.
Manchmal steckte sie mir am Mittag Geld zu und ich schlich mich aus dem Haus, strampelte energisch mit dem Kinderfahrrad zur (für die damalige Wahrnehmung weit entfernten) Bude und kaufte eine Tüte davon für sie.
Wenn ich dann, wie Samstags üblich, bei ihr übernachten durfte, öffnete sie ihre Tasche, die immer in der nicht benutzten Bettseite stand und der ganze Raum wurde vom Duft nach Veilchen getränkt. Denn nicht nur die Schnuckertüte roch danach, sondern auch ihre wunderschönen Taschentücher, ihre Creme, ihr „Wässerchen“ (wird wohl eine Art Parfum gewesen sein) die sie alle in der Zaubertasche aufbewahrte.
Diese Tasche hatte sie von ihrer Mutter bekommen, die ebenfalls Hebamme gewesen war und sie war eines der wenigen Erinnerungsstücke, die die Zeit überdauert hatten.Mieke wuchs, so schilderte sie das, einfach in diese Aufgabe hinein. Als Mittelkind war das einfach so. Die Älteren passten auf die Kleinen auf und sie ging oft mit um ihrer Mutter und den Gebärenden zu helfen. Zunächst Handreichungen und Besorgungen, dann immer mehr eigene Verantwortung und schließlich ging sie alleine, wenn die Mutter gerade beschäftigt war.
Als ältere Dame zauberte Mieke aus der Tasche Trostpflaster, Geschichten und Geheimnisse. Angefangene Handarbeiten hatten darin genauso ihren Platz, wie der Lebensretter (ein Inhalator).
Manchmal streichelte sie verträumt die Tasche und dabei hat sie mir den ersten der wichtigen Ratschläge zugeflüstert:
„Auch Dinge haben eine Seele, weißt Du? Achte darauf, dich nicht mit Sachen ohne Seele zu umgeben. Die nehmen Dir Platz und die Luft zum Atmen.“