Sehr geehrter Herr zu Gutenberg,
ein WordPress-Blog verlangt rein technisch nach einer Überschrift. Kurz hatte ich mit dem Gedanken an „Homo plagiatus“ gespielt. Aber wer weiß, ob nicht in den letzten Tagen in den unzähligen Berichten in Presse oder Internet diese eine Kombination zweier Worte schon genutzt wurde? Gerade weil dieser Gedanke logisch und offensichtlich ist, ist die Wahrscheinlichkeit gar nicht einmal so gering. Also habe ich mich dagegen entschieden. Um etwaigen Vorwürfen in dieser Richtung vorzubeugen.
Die gestrige Erklärung / Fragerunde im Bundestag war erschütternd. (Der Volksmund könnte sagen: „Da kriegste das kalte K*****!“)
Nein, Herr zu Guttenberg, als Bürgerin fehlen mir das Verständnis und auch das Mitgefühl, dass sie mit dem Verweis auf Ihre privaten Umstände während der Arbeit an der Dissertation hervorrufen wollten. Im Gegenteil: der „Otto-Normal-Doktorand“ hat eine deutlich höhere Belastung, denn oftmals kommen noch simple Fragen des alltäglichen Überlebens hinzu. Oder der zeitliche Druck unter dem Stipendiaten stehen. Trotzdem werden innovative geistige Leistungen erwartet und vorausgesetzt.
Mein Mann arbeitet seit einigen Jahren an seiner eigenen Diss. Mit einer Halbtagsstelle, um Studium/Dissertation und Finanzierung der Familie organisatiorisch unter eine Decke zu bekommen. Gleichzeitig mit dem unglücklichen Umstand, dadurch zeitweise eine „Aufstockerfamilie“ gewesen zu sein und sich von Seiten Ihrer Bundestags-Kollegen und Parteifreunde auch noch unverschämte Verallgemeinerungen anhören zu müssen. Weiter arbeitet er ehrenamtlich als freier Dozent an seiner Alma Mater, da es trotz Studiengebühren schon systemimmanent zu sein scheint, dass Geiz geil ist und man Lehrbeauftragte auch gerne nicht entlohnt. Noch nicht einmal eine der „beliebten“ Aufwandsentschädigungen wird angeboten, weil die Studiengebühren nicht, wie eigentlich vorgesehen, zur Verbesserung der akademischen Bildung, sondern simpel zur Begleichung der Heizkostenabrechnung der Universität oder für dringend notwendige Sanierungsarbeiten des Unversitätsgebäudes herangezogen werden. Das Alles bei gleichzeitigem Wehklagen darüber, dass Akademiker/innen immer seltener Kinder bekommen. Wenn es nicht so traurig wäre, wäre es lächerlich.
Mittlerweile haben wir beide Arbeit und Ehrenämter (ohne finanzielle Zuschüsse – sondern rein aus sozialem Interesse und der Liebe zu dem, was wir tun). Es gibt keine „haushaltsnahen Dienstleistungen“, die zeitlich entlasten würden. Zu diesen Belastungen kamen in den letzten Jahren gelegentlich Situationen mit erkranktem Kind und den Sorgen, die so etwas innerhalb der Familie hervorruft oder gar eigene Erkrankungen. Die Wechselschichten haben Ihr übriges zur Zeitverzögerung/ dem Belastungspegel beigetragen. Trotzdem kamen von gut meinenden Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der neu geschaffenen ARGE fröhliche „Einladungen zu Gesprächen über die berufliche Zukunft“. Auch dies haben wir gemeinsam durchgestanden. Genauso wie die Sprüche im Freundes- und Familenkreis, die sich über die lange Dauer der Doktorarbeit auslassen. Vorneherum und selbstverständlich noch viel lieber hintenherum.
Und Sie erwarten tatsächlich, dass ein solch lapidarer öffentlicher Entschuldigungs-Versuch auf Gegenliebe stößt? Haben Sie sich jemals während der Promotions-Zeit fragen müssen: Fachbuch oder Kinderschuhe? Waschküche oder Hörsaal? Korrekturlesen oder schnöde Existenz sichern (Geld verdienen)? Eher unwahrscheinlich.
Gut, dass auch wir mittlerweile aus der Harz-Falle herausgekommen sind: aber dazu hat – außer uns – niemand etwas beigetragen.
Und woran sitzt mein Mann nun seit zwei Wochen? An der Überprüfung sämtlicher Zitate und Fußnoten. Aus sich heraus, weil er
a) um die Konsequenzen einer nicht der Prüfungsverordnung entsprechenen Zitation weiss, weil er
b) den Anspruch an sich selber hat, das, was er tut, gut und richtig zu machen (und das macht er auch).
Ja, Fehler sind menschlich. Von daher ist es allerdings auch logisch, eine sorgfältige Überprüfung an das Ende einer schriftlichen Arbeit zu setzen – etwas, dass schon Schülern vor der Abgabe einer Klassenarbeit gerne geraten wird.
Fehler zu lektorieren/lektorieren zu lassen und die gemachten Aussagen sowie Angaben zu prüfen sind im Regelfall Kernbestandteil von wissenschaftlichem Arbeiten – gleich welchem und sollte bereits während der ersten Hausarbeiten oder Referate des Grundstudiums verinnerlicht werden („Umgang mit Belegstellen in wissenschaftlichen Texten“). Wie entschuldigen Sie das? Haben Sie da „zufällig gefehlt“? Hat „der Hund die Aufzeichnungen (Promotions-Richtlinien) gefressen“?
Was auch immer derzeit an öffentliche Vorwürfe gegen Ihre Person herangetragen werden, oder an Spektulationen um Ihre Eigenleistung auftreten – im besten Fall war es ungenau, schluderig und äußerst naiv, die Arbeit vor der Abgabe nicht noch einmal sorgfältig zu überarbeiten und zu prüfen.
Ebenso naiv die erste Version eines „Abwiegelungsangebotes“: haben Sie als Jurist nicht gewusst, dass der Doktor nicht von seinem Titel zurücktreten kann?
Sie gestehen in Ihrer Rede Fehler ein und erwarten scheinbar, dafür wie ein großer Junge gelobt und (wieder) geliebt zu werden. Entschuldigen Sie bitte, aber das ist gleichfalls naiv. Es hat etwas von einer Talk-Schow-Beichte, was Sie da veranstaltet haben. Ein Applaus dafür, dass der Lügendetektor bestätigt: die Antwort auf die Frage war die „Wahrheit“ – egal, wie verletzend oder schuldhaft sie als solche auch sein mag.
Von einem Naivling möchte ich persönlich mich aber nicht vertreten lassen – schon gar nicht im Amt des Verteidungsministers. Auch nicht von einem „Schluder-Jan“, der sich nicht die Zeit nimmt, etwas zu überprüfen, bevor es Entscheidungen (Abgabe) und damit verbundene Konsequenzen gibt.
Wenn die Attribute: schlampig (im Sinne von unordentlich, fahrig), naiv, „schlechtes Vorbild“ und „möglicherweise Betrüger“ vor 14 Tagen zusammenfasst vorgebracht worden wären und Ihre Minister-Kollegen wären gefragt worden, wen dies beschreibt: Was glauben Sie, wie oft der Begriff „Harz-IV-Empfänger“ rein zahlenmäßig vor „Verteidigungsminister“ gefallen wäre?
Mit dem kleinen aber feinen Unterschied, dass die „Titel“ „Harzer“, „Aufstocker“ oder „Kunde der ARGE“ weder mal eben einfach so abgelegt noch aberkannt werden können und die Betroffenen (meistens und entgegen der Meinung Ihrer Statistik-schiebenden Kollegen) unverschuldet in diese Situation kommen – während Sie die Wahl hatten, sich schlicht einige wenige Tage mehr Zeit für die Überprüfung/Abgabe Ihrer Arbeit zu nehmen.
War es Glück, dass Ihr vorhergehendes Mandat als Wirtschaftsminister nur von kurzer Dauer war? In diesem Licht betrachtet wohl schon…
Am Beginn Ihrer öffentlicheren politischen Laufbahn haben Sie wiederholt auf Ihre (finanzielle) Unabhängigkeit hingewiesen. Schön. Vielleicht sollten Sie darüber nachdenken, sich im Bereich „Sozialrecht“ zu spezialisieren, eine neue Dissertation zu schreiben und unentgeldlich Klagen von Aufstockern vor dem Bundessozialgericht zu vertreten. Das hätte etwas von Robin-Hood-Posing und wäre sympathischer als die momentane „Großmannssucht“ mit widerwilligen/verspäteten Zugeständnissen. Zumal in einigen Abhandlungen Robert von Locksley (adliger Abstammung) mit der Figur des „Helden der Witwen und Waisen“ gleichgestellt wird (vgl. wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Robin_Hood )[Letzter Aufruf 24.02.2011 um 12:43].
Diese Kehrtwende könnte Vertrauen in den Menschen zu Guttenberg fördern. Eher zumindest als ein Verbleib auf dem 1. politischen Parkett. Und trotzdem wäre dieses Handeln politisch – gar politisch korrekt und über jeden Zweifel erhaben.
In diesem Sinne muss ich Ihnen „leider mit bedauern mitteilen, dass wir uns [auf ministerialer] Ebene für eine/n Mitbewerber/in entschieden haben und wünschen Ihnen bei Ihrer weiteren beruflichen Laufbahn viel Glück.“ (Zitat aus etlichen Bewerbungs-Absagen)
Irrwelt
Hier macht sich ein Schüler äußerst interessante Gedanken zu Ihrem „Wirken“…